NDR Kultur

Review: NDR Kultur (Germany)

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von Guido Pauling

Was genau sind wohl “Sphärenklänge”? Denn diesen rätselhaften Titel trägt ein neuer Bildband des Fotografen Mat Hennek: “Sounds of spheres” nennt er das Buch, in dem Wasser das prägende Element aller Bilder ist: Mal als stiller Waldsee, mal als Eiskruste auf einem Fluss, als schwebendes Nebelband über der Landschaft oder als donnernde Brandung am Atlantik. All dies findet sich unter der Wölbung der Himmelssphäre – man sieht den Kosmos im Großen wie im ganz kleinen Detail und meint am Ende, Sphärenmusik zu vernehmen…

Das könnte eine Erklärung für den Buchtitel sein, doch letztlich, findet unser Rezensent Guido Pauling, brauchen die Aufnahmen dieses wunderschönen Bandes gar keine Erklärung…

Spiel mit Farben

Fast ebenso schwarz wie der Schotter der steil ansteigenden Bergflanke liegt die Wasserfläche da – ein blitzender, glitzernder Spiegel der Sonnenstrahlen, der die Düsternis des Gesteins am Schweizer Flüelapass reflektiert. Einzig ein orange leuchtender Streifen aus Moosen, Flechten und Gras spendiert etwas Farbe, zieht sich einmal diagonal durch das linke Bild – und wird farblich aufgegriffen von der Aufnahme auf der rechten Buchseite: Dort ist das Orange der beherrschende Farbton, Wolkenschatten schaffen Hell-Dunkel-Abstufungen.

Dazu liegt ein Netz aus Linien, Furchen und Klüften wie Krakelee über dem Bild, das ein diagonal abfallendes schmales Band einmal schräg durchschneidet – ein Alpenbach am Furkapass, wie ein silbriger Faden von Wasser inmitten von Geröll, Erde und stumpfem Rasen.

5 Bilder

Eindrücke aus dem Bildband: “Sounds of Spheres”

Wasser als Architekt der Natur

Es sind Fotografien, die virtuos mit Licht und Schatten spielen, mit sanften Hügeln und tiefen Schluchten, Landschaftswellen und -spalten im zweidimensionalen Medium. Aufnahmen, die ebenso abstrakte Gemälde sein könnten.

Eine Doppelseite weiter stehen Palmen im Sturm. Tiefgrüne Pinsel, zerfleddert, windgepeitscht auf türkisgrün gesprenkelter Fläche; über die gesamte Aufnahme tanzen, krabbeln, wuseln grobe Punkte, Pixel, Moleküle. Das wahre Motiv des Bildes: Wassertropfen? Wassertropfen!

Wasser ist Inspiration für Künstler gewesen seit Jahrtausenden. Es ist ein Symbol für Verwandlung, für Unbeständigkeit und ewigen Fluss. Wasser ist der Architekt der Natur. Wasser ist auch der Komponist der Natur, seine Tropfen, Ströme und Wellen schlagen die ursprünglichen Rhythmen der Welt.

Mit diesen Worten – dem einzig erläuternden Text des ganzen Buches – offenbart die Pianistin Hélène Grimaud, welche Intention der Fotograf Mat Hennek – ihr Lebenspartner – mit seinen Bildern verfolgt.

Poetische Fotografien von malerischer Schönheit

Wasser ist der Ur-Stoff schlechthin. Für Mat Hennek ist es das Grundmaterial für poetische Fotografien von wahrlich malerischer Schönheit, indem es sich am Furkapass als zart-weiße Pulverschicht kühlend über all das legt, was doch gerade eben noch – zwei Seiten zuvor – orange aufleuchtete! Indem es als Dunstwolke aus Abermillionen Tröpfchen im Abendlicht vor Sizilien über der Meeresoberfläche schwebt und das Licht auf berückend schöne Weise bricht, um einen bläulich-goldenen Schleier über rosa gekräuselten Wellen hervorzuzaubern. Homers Wort von der “rosenfingrigen Eos”, der Göttin der Morgenröte, kommt einem in den Sinn: Genau so ein Anblick dürfte den Dichter vor rund 2.700 Jahren beflügelt haben.

“Sounds of Spheres”: Ein Spiel mit der Fantasie

Der herbstbunt glänzende Tümpel im Wald, dessen Spiegelbild die Laubbäume am Ufer auf den Kopf stellt; die mächtig aufgebauschte Wolke, die in ihrer wattigen Majestät noch das Alpmassiv überragt; die Wasserfälle am Naeröyfjord, als habe ein Maler flüssige Farbschlieren über den grüngrauen Felskeil auf der Leinwand laufen lassen – Henneks Motive sind immer mehrerlei zugleich: Farb- und Formenmalerei; ein Spiel mit der Fantasie der Betrachter; eine Ode an die unvorstellbar vielfältige Gestaltungskraft des Wassers. Und auf dem letzten Bild – der Aufnahme eines Schädels, quallenartig, wabernd, so gar nicht knöchern wie gewohnt – der Beweis, dass Wasser alles, Wasser Leben ist; dass wir Menschen vor allem aus Wasser bestehen.

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